• Esther Greter
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Die 90 Sekunden der Gefühle

Wie 90 bewusst gefühlte Sekunden alles verändern können

 

Vor einiger Zeit hörte ich meine Lehrerin und Mentorin Chameli Ardagh eine interessante Aussage machen. Sie nannte die Tatsache, dass jede Emotion einen biochemischen Lebenszyklus von nur 90 Sekunden hat.

 

Ich war fasziniert. Kennen wir nicht alle diese ewigen Loops der Emotionen, die wir kaum mehr loswerden? Tagelanger Ärger, wochenlange Trauer, endlose Phasen der Wut... Und jetzt höre ich, dass es dafür eigentlich gar keine physiologische Ursache gibt.

90 Sekunden sind kurz. Sehr kurz, wenn ich das mit der wirklichen Dauer meiner Emotionen vergleiche. Ich frage mich gerade, was ich in 90 Sekunden alles tun kann. Zum Zähneputzen reicht es nicht. Vielleicht zum Tee kochen? Oder den Briefkasten leeren?

 

Wie so oft, wenn ich was Spannendes höre, wollte ich dem nachgehen. In meiner Recherche traf ich auf die Hirnforscherin Bill Jolte Taylor, welche das Buch «Mit einem Schlag: Wie eine Hirnforscherin durch ihren Schlaganfall neue Dimensionen des Bewusstseins entdeckt.» geschrieben hat.

 

Taylor macht folgende Aussage: «Wenn eine Person eine Reaktion auf etwas aus ihrer Umgebung hat, gibt es einen Prozess im Körper, der 90 Sekunden anhält. Die emotionale Reaktion, die danach stattfindet, geschieht aufgrund der oft unbewussten Entscheidung der Person, in diesem emotionalen Loop zu bleiben.»

 

 

Wunderding Gehirn

 

Schauen wir uns doch das Hirn etwas genauer an und machen einen kleinen Ausflug in die Anatomie. Unser Hirn, in diesem Fall das limbische System und das Zwischenhirn, bewertet fortlaufend die Informationen (Erlebnis, Situation, Fakten, Bilder), mit denen wir konfrontiert werden. Ist eine Information für uns neu oder/und interessant, so fokussiert sich unsere Wahrnehmung darauf und Informationen darüber werden in den Fokus unseres Bewusstseins gebracht. Zudem wird der Inhalt unmittelbar emotional positiv oder negativ bewertet, was zu einer entsprechenden Reaktion auf der Gefühlsebene (inkl. Hormone und vegetativem Nervensystem) führt.

 

Durch verschiedene Hirnzentren wird diese Information genauer untersucht, um weitere neue, interessante Details zu finden. Diese werden mit bereits im Grosshirn abgespeicherten Inhalten verglichen und allenfalls durch neue Verknüpfungen dort abgespeichert.

Stossen wir dabei nicht auf weiter neue und interessante Informationen, klingt die Reaktion innerhalb von ca. 90 Sekunden ab und unser Bewusstsein wendet sich neuen Informationen zu.

 

Und wie entstehen jetzt Gedankenloops, diese endlos kreisenden Gedanken, die uns in unseren Emotionen festhalten?

Unser Hirn kann auch seine eignen Reaktionen als neue Information beurteilen und diese Beurteilungen wiederum neu beurteilen, wodurch sich unsere Gedanken im Kreis drehen können.

Wird eine Information von unserem Hirn als ausserordentlich interessant (negativ oder positiv) bewertet, so kann es sein, dass es bei deren Verarbeitung hängen bleibt und die Information immer wieder neu abruft und bewertet. Dabei entstehen Gedankenloops, die die Grundlage für Gefühle wie z.B. Verliebtheit oder Hass sein können.

 

Konkret heisst das also nach Taylor, dass wir den Prozess der emotionalen Reaktion, welcher eine Ausschüttung von chemischen Stoffen im Körper bewirkt, nur 90 Sekunden lang beobachten können. Danach können wir genauso wahrnehmen, wie sie aufhört.

Wenn wir also danach noch Furcht, Wut oder andere Emotionen fühlen, ist der Grund dafür unsere Gedanken. Diese können nämlich den Kreislauf, welcher dafür verantwortlich ist, dass wir diese physiologische Reaktion immer und immer wieder haben, stimulieren.

 

 

Emotionen als Treibstoff des Lebens

 

In meiner Arbeit mit Frauengruppen und im Einzelcoaching ist die Arbeit mit den Emotionen eine wichtige Komponente. Wir entdecken, dass eine Emotion nichts anderes als reine Lebensenergie ist. Energie wandelt und bewegt sich ständig. So lernen wir alles, was wir fühlen, fliessen zu lassen und ihm den nötigen Raum zu geben. So können die Energien fliessen und sich transformieren. Eine Emotion wird nämlich nur dann zum Problem, wenn wir sie festhalten und loswerden wollen und somit die Energie nicht fliessen kann.

 

So lebe und übe ich ganz nach der Devise: «Fühle voll, nimm es an, gib dem Raum und lass es dann weiterfliessen.» Auf diese Weise verlieren intensive Emotionen an Bedrohlichkeit und Wertung. Und je tiefer ich gehe, desto weniger Bedeutung haben Bewertungen wie «positive» oder «negative» Emotionen. Ich habe erkannt, dass alle Emotionen reine Lebensenergie sind, die wenn konstruktiv gehalten und erlebt, grosses bewirken kann. Bekämpfe oder unterdrücke ich sie oder versuche ich, sie zu stark zu kontrollieren, schneide ich mich auch von einer grundlegenden Lebensenergie ab. So verwundert es mich nicht, dass so viele Menschen erschöpft und kraftlos sind. In ihrem Versuch sich anzupassen, «normal» zu sein und in unserer Gesellschaft, die nur ungern starke Emotionen sieht, zu funktionieren brauchen wir unendlich viel Kraft zur Unterdrückung von etwas, das eigentlich, wenn voll gefühlt, nur eine Lebensdauer von 90 Sekunden hätte...

 

Taylors Aussage würde also unsere Herangehensweise unterstützen. Entspannen wir uns in eine Emotion hinein und lassen die physiologische Reaktion geschehen, ist der «Sturm» in kurzer Zeit vorbei. Das ist oft bei Kindern zu beobachten, die noch viel weniger sozialisiert sind, sondern ihren Emotionen einfach freien Lauf lassen. Hier ist anzumerken, dass ich nicht den Standpunkt vertrete, dass wir Emotionen einfach ungehindert und ungefiltert rauslassen sollen. Es ist viel mehr die Fähigkeit, sich selber dafür den Raum zu halten, die wir uns aneignen wollen. So können wir auf eine bewusste Art und Weise voll und ganz zu fühlen, was grad da ist.

 

 

Die 90-Sekunden-Regel

 

Taylor sagt: «Am gesündesten ist es, wenn ich mich der Emotion völlig hingebe, wenn sie mich physiologisch überkommt. Ich stehe einfach die neunzig Sekunden durch, weil Emotionen heilen, wenn man sie zulässt und wertschätzt. Mit der Zeit lässt die Häufigkeit dieser Kreisläufe für gewöhnlich nach.»

 

Sie nennt das die «90-Sekunden-Regel»: Wenn wir in einer Situation sind – egal was es ist – sollen wir uns erlauben, die aufkommenden Emotionen ganze neunzig Sekunden lang zu beobachten. Einfach innehalten, fühlen, atmen und beobachten ohne zu bewerten oder zu handeln. Die Idee ist, zurückzutreten und etwas Raum zwischen unserer Emotion und unseren Gedanken zu schaffen. Haben wir die Emotion voll gefühlt und ausgehalten, ist es gut, dem Gehirn etwas anderes zu tun zu geben.

 

Eine Emotion bleibt also nachweisbar nur neunzig Sekunden in unserem Körper. Danach verschwindet die physische Reaktion. Ausser das kognitive Gehirn schaltet sich ein und verbindet die Emotion mit vergangenen Erlebnissen und wiederholt das Erlebte immer und immer wieder.

 

Wenn also wir verstehen, dass Emotionen biochemische Ereignisse sind, können wir erkennen, dass das wiederholte Erleben von Emotionen ein Feedbackloop zwischen Geist und Körper ist.

 

 

Das 10-Sekunden-Wunder

 

Der amerikanische Psychotherapeut Gay Hendricks, ein Therapeut, dessen Arbeit ich sehr schätze, spricht in seinem Buch «The 10-Second Miracle» sogar von nur 10 Sekunden, in denen eine Spannung oder intensive Emotion gelöst werden kann. Er sagt, dass wenn wir unsere reine, bewertungsfreie Aufmerksamkeit 10 Sekunden lang auf eine Spannung oder Gefühl in unserem Körper ruhen lassen, wird sich die Spannung oder das Gefühl erst in eine fliessende Empfindung und dann in weite Offenheit auflösen.

 

Ganz einfach ausgedrückt rät er: Kommt eine intensive Emotion auf, halte einen Moment inne und atme bewusst. Fühle einfach, was da ist, ohne etwas zu bewerten oder verändern zu wollen. Und nach 4 langen, tiefen, total präsenten (gar nicht so einfach, probiers mal aus) Atemzügen wird sich alles verändern...

 

Gute Neuigkeiten also: Wir sind unseren Emotionen nicht schutzlos ausgeliefert und müssen auch nicht Unmengen von Energie aufwenden, um sie zu kontrollieren oder zu bekämpfen. Auch sind Emotionen weder bedrohlich, noch hinderlich oder gar gefährlich. Fühlen wir sie voll und entspannen uns in die Situation hinein, werden wir merken, dass sie sich genau so schnell transformieren können, wie sie aufgetaucht sind.

 

Der Schlüssel dafür ist meiner Meinung nach, dass wir lernen, den «Garten der Gedanken sorgfältig zu pflegen», wie das Jill B. Taylor so schön ausdrückt. Denn ohne Struktur oder Disziplin neigen unsere Gedanken dazu, aus dem Ruder zu laufen und Drama zu kreieren.

 

Auch das beschreibt Taylor so schön: «Wenn mir bewusst ist, welche kognitiven Spiralen mein Gehirn durchläuft, dann konzentriere ich mich darauf, wie ich sie in meinem Körper spüre. Bin ich angespannt? Sind meine Augen aufgerissen? Atme ich tief oder flach? Ist mein Brustkorb eng? Ist mir schwindlig? Hebt sich mir der Magen? Bin ich nervös? Spüre ich ein Kribbeln in den Beinen? Neuronale Spiralen, Kreisläufe der Angst, Sorge oder Wut können durch unterschiedliche Reize ausgelöst werden. Sind sie aber erst einmal da, gibt es eine vorhersagbare physiologische Reaktion, die Sie bewusst beobachten können.

Wenn mein Gehirn Spiralen produziert, die kontraproduktiv sind oder ausser Kontrolle geraten, warte ich neunzig Sekunden, ob sich die emotionale/physiologische Reaktion auflöst, und dann spreche ich mit meinem Gehirn wie mit einem Kind. Ich sage: «Ich schätze deine Fähigkeit, Gedanken zu denken und Gefühle zu fühlen, aber ich bin wirklich nicht an diesen Gedanken oder Gefühlen interessiert. Bitte hör damit auf.»

 

In dieser Situation bitte ich also bewusst mein Gehirn, sich nicht mehr an diesen Gedankenmustern festzuhalten. Dieser Gedanken mit der inneren, authentischen Stimme einfach nur zu denken reicht allerdings oft nicht aus, um den inneren «Geschichtenerzähler» zu beruhigen. Wird jedoch dem Satz ein entsprechendes Gefühl beigegeben, wird er für die Kommunikation zugänglicher.  Und sollte man auch dann noch nicht zum Gehirn durchdringen, kann man der Botschaft eine kinästhetische Komponente hinzufügen, z. B ein erhobener Finger.

 

Erfolgreich und konstruktiv mit unseren Emotionen umzugehen bedarf einiger Übung. Dazu braucht es erstens Räume, die sicher genug sind, damit wir lernen können voll und ganz zu fühlen und mit unseren Emotionen in Kontakt zu kommen.

Und zweitens ist es wichtig, dass der «Garten unserer Gedanken» durch Konzentrationstraining, Meditation, Achtsamkeitsübungen oder ähnliches täglich gepflegt wird und wir so lernen, unsere Gedanken zu lenken.

 

Unsere Frauenkreise bieten genau dieses Übungsfeld. Und das Beste daran: Du wirst merken, dass du es nicht alleine bist, du unglaublich wertvolle Unterstützung kriegst und dass das alles zusammen viel mehr Spass macht. Schau doch mal rein in einen Frauenkreis oder vereinbare ein kostenloses Coaching-Erstgespräch!

 

 

Buchtipps:

Jill Bolte Taylor: «Mit einem Schlag: Wie eine Hirnforscherin durch ihren Schlaganfall neue Dimensionen des Bewusstseins entdeckt.»

Guy Hendricks: «The 10-Second Miracle»

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